Ralf Brög
Drei Modellräume
Text von Anja Schürmann
»Musik hat Töne, Tonleiter und Tonart: sie kann bauen.
« (Walter Benjamin)*
»Musica amat silentium«, schrieb Johann Adam Hiller 1767, die neue
Entwicklung begrüßend, dass das Publikum während eines Konzerts nicht
lärmte, sprach, Billard oder Karten spielte, sondern sich regungslos und
vor allem still verhielt. Aus dieser Stille kam die Musik, sie war
Grundvoraussetzung und dialektischer Zwilling des Klangs. Stille ist
aber auch nie ganz still. Absolute Stille muss man herstellen, sie ist
künstlich nur in so genannten schalltoten Räumen erzeugbar. Stille – so
paradox es auch klingen mag – ist auch die Grundlage der akustischen
Installationen, die Ralf Brög zusammen mit den Musikern Stefan
Schneider, Kurt Dahlke, Jörn Stoya und dem Theaterregisseur und -autor
Kevin Rittberger realisierte.
Zwar tönt es in den drei neuen Zugängen und Korridoren der
Heinrich-Heine- Alle; aber es sind Töne, die kein Lärm sein wollen,
Töne, die einen Gegenentwurf zur kakophonische Unruhe der Straße
darstellen. Auditorium, Theater und Labor heißen die drei Modellräume in
Brögs Gestaltung, Räume, in denen er auslotet, wie der Schall grafisch
und akustisch als Klang, als Musik funktioniert.
Im Labor, wo in den Zugangstreppen zwei Soundobjekte hängen und auf
einen Interferenzatlas im Gang stoßen, wird der experimentelle Charakter
der Brögschen Konzeption besonders deutlich. Der Atlas besteht aus 45
bedruckten Keramikplatten, die in drei Reihen kupferne Variationen von
Schallplattenrillen als gedachte musikalische Typologie visualisieren.
Der Wellencharakter des Schalls wird anhand einer sog. Urrille deutlich
gemacht, sie kommt nur einmal vor, von ihr gehen alle weiteren Platten
aus, dessen Rillen Brög gedehnt und gestaucht, verzerrt und verdreht
hat, um so Interferenzen zu erzeugen. Interferenzen sind – ähnlich wie
die Lichtbrechung beim Regenbogen – optische Phänomene der Überlagerung
von Wellen, die Linien bilden eigene Raster, streuen und
verselbstständigen sich in einem Moiré-Effekt.
Ein Effekt, der auch auf den beiden Soundobjekten zu beobachten ist:
Durch die Treppenbewegung erzeugt das perforierte Material der sieben
Körper eine ähnliche Wirkung. Flieder und Lindgrün hängen die Polyeder
von den Decken, eine Form, mit der Brög schon oft gearbeitet hat und die
er – in Anlehnung an den berühmten Stich von Albrecht Dürer –
Melancholiebox nennt. Aus diesen auf dem goldenen Schnitt basierenden
Objekten kommen Töne, denn es sind Lautsprecher, einzeln ansteuerbar.
Die Komposition Treppe von Stefan Schneiders kombiniert Töne der E-Dur
Tonleiter, die alle mit einem Vibraphon eingespielt und unterschiedlich
lang geloopt wurden, so dass zufällige, immer neue Tonkombinationen
möglich werden. Die Klangfarbe des Schlaginstruments, das oft auch für
Ansagetöne oder Schulgongs verwendet wird, assoziiert Glockenklänge.
Durch die Tonleiterreduktion und die zufällige Kombinatorik hat man aber
nie das Gefühl, eine Ansage erwarten zu müssen oder dass die Pause zu
Ende sein könnte: ausbalanciert und sanft klingen die einzelnen Segmente
und lassen die Idee Schneiders, aus dem begrenzten Fundus einer
Tonleiter ein komplexes Gefüge akustischer Möglichkeiten zu generieren,
unüberhörbar werden.
Das Theater, von weitem schon durch den tiefroten Keramikvorhang
markiert, ist ein Zugang, den Brög zusammen mit Kevin Rittberger
realisierte. Hier, wo in immer gleicher Geschwindigkeit Menschen von
einer Rolltreppe befördert werden, wartet ein Hörspiel auf seine
Aufführung, welches Rittberger mit dem Orpheus-Mythos verknüpft hat: Er
handelt vom Sänger Orpheus, dessen Versuch seine Geliebte aus der
Unterwelt zurückzuführen scheiterte, als er sich entgegen der Weisung
der Götter auf dem Rückweg zu ihr umdrehte. Teile dieser Geschichte aus
der Oper Orfeo von Claudio Monteverdi und dem von Rittberger selbst
geschriebenen Theaterstück Candide. Acting in Concert sind subtil auf
die drei mehrkanaligen Stablautsprecher gelegt worden, die in den
Vorhang integriert wurden. Durch diese räumliche Simulation
unterschiedlicher Stimmen wird die kurze Fahrt auf der Rolltreppe wie
der Mythos selbst in eine Aufführung mit mehreren Akten unterteilt. Der
Passant kann die Stimmen und Klangfragmente unmöglich orten und fragt
sich, ob er hier vor oder bereits auf einer Bühne steht. Für einen
kurzen Moment bilden so die keramischen Vorhänge einen ephemeren Raum,
eine Stelle, von der aus das Gehörte nicht ohne weiteres als illusionär
zu durchschauen ist. Man weiß, dass man es nicht sollte; aber dennoch
dreht man sich um.
Das Auditorium als letzter Modellraum verweist bereits im Namen auf
seine Funktion: Zusammen mit den Musikern Kurt Dahlke und Jörn Stoya hat
Brög einen Hörsaal geschaffen, einen langen Korridor, der die
Königsallee mit dem U- Bahntunnel verbindet. Akustisch optimiert wurde
er durch weiße Emailfliesen, deren Oberfläche so gestaltet wurden, dass
der Klang durch Erhebungen und Negativformen mehrere Brechungswinkel
erfährt. Ausgehend von einer quadratischen Pyramide wurden
unterschiedliche Formen abgeleitet, so dass sie positiv und negativ, als
Einzelform oder in Vierer-Sets existiert und durch Drehung weiter
moduliert werden kann. Durch die Lichtreflexion des reinweißen Emails
und jenen Drehungen entsteht im Auditorium ein subtiler, fast
kristalliner Eindruck, der – obwohl die Fliesen funktional Paten von
Schallschutzplatten eines Tonstudios sein könnten – eher an
futuristische Gletscherstrukturen denken lässt.
Hinter den Fliesen sind 48 einzeln ansteuerbare Lautsprecher verborgen,
die von Dahlke und Stoya mit der 3D-Audio-Installation Like Birds On The
Wire bespielt werden. Die Anordnung der Lautsprecher ist relativ eng,
so dass man den Klang als angenehmes Gefühl aufnimmt. Das Geräusch hat
keine Richtung, kein Oben und Unten, sondern wird mit dem gesamten
Körper erfahren und auf dem Weg in oder aus dem Zug mitgenommen. Als ob
man an einem Orchester vorbeilaufen würde, wo jedes Instrument für einen
kurzen Moment einzeln hörbar wird: so vergleicht Brög den akustischen
Eindruck. Hören tut man hier aber kein Orchester, sondern Vogelstimmen,
die dich wie Fäden eines klingenden Ornaments begleiten. Dahlke und
Stoya haben dafür viele heimische Vogelarten aufgenommen und
elektronisch bearbeitet. Die räumliche Differenziertheit des Klangs
wurde durch eine 3D-Simulationssoftware und einen eigens programmierten
Zufallsgenerator erreicht. Außerdem können Sensoren den Grundlärm der
Station erfassen und die Lautstärke so modulieren, dass die Installation
leiser wird, wenn sich weniger Menschen im Raum befinden. Mitten im
Stadtraum wird man so von einer virtuellen Naturassoziation überrascht,
die sich auch je nach Tages- oder Jahreszeit mit unterschiedlichen
Vogelarten modulieren lässt.
Brögs akustische Ausgestaltung der Station ist ein Angebot an die Stadt,
ein erster Vorschlag einer möglichen Aufführungspraxis. Er hat mit
seiner Gestaltung hochwertige Klangräume geschaffen, deren Nutzung
flexibel sein soll. So sind Konzertübertragungen oder thematische
Schwerpunkte zu einzelnen Bands, Soundkünstlern oder Komponisten
denkbar. Als verbindendes Element der Modellräume besteht die
Vorstellung von Klang als einem Geräusch, das aus kollektiver Stille
entsteht. Obwohl er aus so vielen Lautsprechern kommt, wird er immer
individualisiert und so subjektiv erfahrbar.
*
aus: Paul Valéry in der École Normale, in: Ders., Gesammelte Schriften, IV. I, Frankfurt a. Main 1991, S. 480.Back to top