Prozess und Baukunst
Werkplanung, Bauweisen und Herstellungsprozesse im Bereich der Stationsräume des Kontinuums
Die Herstellung der Betonrauten des Kontinuums von Heike Klussmann und
dem Darmstädter Büro netzwerkarchitekten wäre ohne Forschung zu
Materialentwicklung und Produktionsverfahren nicht möglich gewesen. In
enger Zusammenarbeit mit dem Hersteller Schwab-Stein in
Baden-Württemberg wurde ein neues Produktionsverfahren entwickelt, das
es ermöglicht, extreme Bauteilgeometrien ohne zusätzliche statische
Bewehrung zu fertigen und dabei eine sehr hohe Präzision und
Oberflächengüte zu erreichen – hier vor allem: besonders ebenmäßige
Flächen, spitze Winkel und präzise Kanten.
Sichtbetonfertigteile
werden meist in einem Schalungsverfahren hergestellt. Das heißt, die
Betonmasse wird in vorgefertigte Schalungen als Hohlform gegossen, wobei
die Schalungsseite zur Sichtseite und die Einfüllseite zur Rückseite
des Fertigteils wird. Da dieses Verfahren jedoch nur für eine große
Stückzahl gleicher Elemente sinnvoll einzusetzen ist, wurde für die
Realisierung des Kontinuums ein anderer Weg beschritten.
Alle 6.700
individuellen Rauten des Kontinuums wurden aus Rohtafeln zugeschnitten
und im Vakuum-Filter-Press-Verfahren hergestellt. Die Mischung bestand
aus hochfestem Beton, den Zuschlagstoffen Nordisch Weiß und Quarzsand
und zum Pigmentieren 130 Gramm Eisenoxid schwarz auf 100 Kilogramm
Rohmasse. Nur durch die eigens entwickelte Mischung von Zement und
Zuschlagstoffen in Weiß mit präzise zugefügtem Pigment konnte der helle
Farbton ohne Abweichung reproduziert werden. Dann wurde die Grundform
(im Format 244 × 123 Zentimeter) mit der Rohmasse befüllt, planiert und
homogenisiert, sodass das Material gleichmäßig in der Form lag.
Die
homogenisierte Rohplatte ging dann in die Betonplattenpresse (mit einem
65-Tonnen-Press-Ständer die größte der Welt) und wurde mit einer Kraft
von 3.000 Tonnen eine Minute lang gepresst bzw. verdichtet; hierbei
wurden bis zu 50 Prozent des Wassers ausgedrückt. Danach folgte der
hydraulische Aushärtungsprozess unter optimalen klimatischen Bedingungen
während zweier Tage. Die hochverdichteten Grundplatten wurden
anschließend an der Plattenrückseite kalibriert und an der Sichtseite
plangefräst, sodass Ebenheitstoleranzen unterhalb der DIN V 18500
erzielt wurden.
Kontinuum, Fertigung der Rohplatten, Photo: Boris Trenkel
Nach einer weiteren Lagerung zum Erreichen der
Endhärte konnten die Platten geschnitten und nachbearbeitet werden.
Hierbei wurden die Rauten für das Kontinuum über ein fotogestütztes
Erkennungsverfahren möglichst platzsparend auf den Rohlingen
positioniert, dann im 5-Achs-CNC-Sägeverfahren zu den individuellen
Rautenformaten geschnitten und die Kanten profiliert und pro Platte vier
rückseitige Ankerlochbohrungen gesetzt.
Für die Ausbildung der
Kanten wurde eine spezielle Systematik entwickelt, um die Anforderungen
an die Bauwerksrevision sicherzustellen. Mit der Typisierung als
Bodenfalz- und Deckelfalzplatten wurde erreicht, dass der Rohbau über
die gesamte Fläche zugänglich und alle Betonrauten einzeln abnehmbar
sein. Gleichzeitig konnten so die Fügung ohne Dichtstoffe und die
Befestigung so ausgeführt werden, dass sie nicht sichtbar sind.
Der
minimalisierte Verschnitt wurde zu 100 Prozent recycelt und als
Zuschlagstoff wieder verwendet. Danach bekamen die Platten ihre
abschließende Oberflächenbearbeitung: Hydrophobierung und
Graffitischutz.
Doch nicht nur an die Betonfertigteile selbst, auch
an die Unterkonstruktion und ihren Einbau wurden höchste Anforderungen
gestellt. Auf der Plattenrückseite wurden mittels Hinterschnittbohrung
von vorne nicht sichtbare ‚Agraffen‘ befestigt, die dann in Tragschienen
eingehängt wurden. Aufgrund des Brandschutzes und des geringen
Schmelzpunktes von Aluminium konnte nicht auf marktübliche Systeme
zurückgegriffen werden, sodass ein eigens entwickeltes System aus
Edelstahl zum Einsatz kam.
Anordnung vertikaler Systemachsen zur Befestigung der Rauten an gekrümmten Wandflächen, Photo: netzwerkarchitekten
Arbeitsmodell "Aufscheren" der Rauten bei Montage an gekrümmten Wandflächen, Photo: netzwerkarchitekten
Eine ganz besondere Herausforderung
stellte der Einbau der Betonrauten in den Bereichen der gekrümmten
Trassenverläufe dar. Hier folgt die Wandbekleidung als kleinteiliger
Polygonzug der Ideallinie eines Kreissegments entlang der Bahnhofswände.
Da das Rautenmuster keine senkrechten Fugen hat, wurden die Tragpfosten
auf den Punkten des regelmäßigen Ausbaupolygonzugs gesetzt, um ein
‚Aufscheren‘ der Rautenspitzen zu vermeiden. So konnte durch die
Maßhaltigkeit der Platten und Fugen im Zusammenspiel mit der fein
justierbaren Unterkonstruktion eine sehr hohe Präzision des Gesamtbildes
erzielt werden.
Kontinuum, Ausschneiden der Platten aus den Rohplatten, Photo: Boris Trenkel
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