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Interview

15 Jahre Planen und Bauen der Wehrhahn-Linie –
ein Gespräch mit Heike Klussmann, Jochen Schuh und Markus Schwieger

Wie sind in dem Projekt eigentlich die Künstler mit den Architekten zusammen gekommen?

Schuh: Das war eine wunderbare Fügung. Das Kulturamt der Stadt Düsseldorf hat für den architektonischen Wettbewerb den beteiligten Architekten einen Katalog zur Verfügung gestellt, in dem vorab Künstler angefragt worden waren, die ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt hatten, in einem solchen Verfahren mitzuwirken. Das war für uns dankbar, weil wir eine große Auswahl hatten. Auf der anderen Seite war es nicht einfach, weil das ein reiner Bildkatalog war. Wir haben uns dann von der Momentstimmung tragen lassen und sind an ein paar Namen hängen geblieben. Und den Telefonhörer haben wir dann bei Heike Klussmann in die Hand genommen.

Das klingt nach einer Bauchentscheidung?

Schuh: Ein bisschen war das so. Aber natürlich spielte im Hintergrund mit, dass es um Architektur geht, um raumbildenden Ausbau und um Gestaltung von unterirdischen Bahnhöfen und wir dann gezielt geschaut haben, wie wir uns das mit einem Künstler prinzipiell zusammen vorstellen können. Und die Arbeiten von Heike Klussmann haben uns in ihrer konzeptionellen Stärke so sehr überzeugt, dass wir diesen Anruf gewagt haben.

Und woher kommt Ihre Nähe zur Architektur?

Klussmann: Ich habe an der Düsseldorfer Kunstakademie ganz klassisch Bildhauerei studiert. Danach bin ich nach Berlin und habe dort noch ein Multimedia-Studium angeschlossen. Ich habe in meiner Arbeit aber immer schon ganz stark räumlich gedacht und gearbeitet. Meine Arbeiten wurden schnell größer in Richtung Installation und dann bestand meinerseits ein großes Interesse für die Architektur. Es gab auch vorher bereits kleinere Kooperationen, aber das nun war eine wirklich spannende Anfrage und ein aufregendes Telefonat! Es war beidseitig so, dass ich dachte, in dieser Zusammenarbeit könnte sich etwas ganz besonders interessantes entwickeln. Wir sind dann gestartet, ohne den gesamten Ablauf absehen zu können.

Sie haben also bereits in der Ideenfindung für den Wettbewerb zusammen gearbeitet?

Klussmann: Um das zu erklären, müssen wir einen Schritt zurückgehen, denn genau das ist das Besondere. Die Stadt Düsseldorf hatte noch vor dem Wettbewerb die Entscheidung getroffen, Künstler und Architekten und Ingenieure vom allerersten Planungsschritt zusammen arbeiten zu lassen. Das war der Wille der Stadt und damit wurden die Rahmenbedingungen dafür gesetzt, dass die Arbeiten überhaupt so entstehen konnten. Das war die mutige Entscheidung für ein Experiment. Denn es war ja nicht abzusehen, wohin uns das führt. Mit allen Chancen, aber auch Risiken.

Das heißt, vor dem ersten Entwurf haben sie in dieser Kombination zusammen gearbeitet?

Arbeitsmodell Kontinuum, Photo Heike Klussmann und netzwerkarchitekten
Arbeitsmodell Kontinuum, Photo Heike Klussmann und netzwerkarchitekten


Schwieger: Wir haben den Wettbewerbsbeitrag in einem Team erarbeitet, zu dem neben Künstlerin und Architekten noch ein Tragwerksplaner und ein Lichtplaner gehörten. Das Konzept des Kontinuums und der Schnitträume ist in dieser Kooperation entstanden.

War dieses runde Paket dann entscheidend für den Gewinn des Wettbewerbs?

Schuh: Die Bedingungen waren in allen anderen Teams gleich. Gewinnen hat uns lassen,- so glaube ich - , dass wir eine Gesamtidee für alle Bahnhöfe entwickelt haben. Und eben nicht für jeden Bahnhof ein anderes Konzept. Sondern das Ganze in seinen Zusammenhang gestellt haben, weil wir dachten, das ist die beste Lösung für ein neues Verkehrssystem in dieser Stadt. Wir hatten auch den Riesenvorteil, dass wir eigentlich gar nichts zu verlieren hatten. Wir waren eines von zwei jungen Büros in einer Gruppe von zehn sehr renommierten Kollegen. Das hat uns aber glücklicherweise nicht weiter irritiert. Das Verfahren war ja offen, mit einer Zwischenpräsentation. D.h., wir wussten, mit wem wir es zu tun hatten und in dem Moment war uns klar, dass wir bestenfalls eine Außenseiterchance hatten. Und so konnten wir uns ganz auf unsere Arbeit konzentrieren. Und ganz befreit strategisch denken. Uns wurde dann klar, dass wir die Wehrhahnlinie nicht wie Perlen an einer Schnur entwickeln wollten, wo jeder Bahnhof von einem anderen Star-Architekten gebaut wird. Sondern wir haben uns darauf konzentriert, ein ganzheitliches Konzept für die ganze Linie zu entwickeln.

Dann habt Ihr gedacht: Wir haben keine Chance, aber die nutzen wir?

Schwieger: Wir haben schon an uns geglaubt. Aber wir haben gedacht, dass wir höchstens vielleicht einen Bahnhof realisieren.

Das heißt, die Aufgabe, ein Gesamtkonzept zu entwerfen, war so gar nicht gestellt? Aber ihr habt sie so begriffen?

Schwieger: Wir haben für den Wettbewerb drei Bahnhöfe entwickeln müssen mit ganz unterschiedlichen baulichen Gegebenheiten und Rand-Bedingungen. Man hätte meinen können, dass es schwierig ist, ein gemeinsames Konzept zu finden, das diese Bauverfahren auch fasst. Aber in unserer Idee war es eben doch möglich, das Konzept zu verankern.

Wie groß waren denn Eure Freiheiten in der Ausdehnung? Die Bahnhöfe wirken ja sehr großzügig. Wie war das möglich?

Schwieger: Dafür haben wir gekämpft, dass es großzügig bleibt!

Schuh: Es gab eine funktionale Planung der Ingenieure, und daraus ergibt sich eine Minimal-Kubatur. Das Ziel ist eigentlich, so wenig Platz wie möglich zu verschwenden und so effizient wie möglich zu bauen. Das war dann ein spannender Dialog, den wir nach dem Gewinn des Wettbewerbs mit den Ingenieuren geführt haben! Denn tatsächlich ist es so, dass man die Geometrien auch ganz anders begreifen kann. Man kann schräge Einschnitte und hohe Räume bauen und hat nicht automatisch dadurch höhere Kosten!

Schwieger: Es war ein beidseitiger Lernprozess. Denn wir wussten ja beileibe nicht alles über den Tunnelbau, im Gegenteil! Wir mussten viel lernen, was mögliche Schwierigkeiten angeht, und die Ingenieure wiederum mussten sich in unsere Konzept-Welt eindenken. Aber dadurch ist die Basis entstanden, auf der die Umsetzung erst möglich wurde.

Wie schnell habt ihr die Idee gefunden in der Abstimmung zwischen Kunst und Architektur? Und Wie kam es zum Konzept des Kontinuums?

Klussmann: Im Wettbewerb war einerseits gefordert ein Ingenieurbauwerk zu entwickeln, hier geht es ganz klar um Funktionalität. Und gleichzeitig war eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie und wo kann in diesem stark regulierten Rahmen Kunst stattfinden, dem Experiment Raum gegeben werden? Dieser Frage haben wir uns gemeinsam gestellt. Mit dem Entstehen des Konzeptes, der Idee des Kontinuums, das alle Stationen verbindet und der Schnitträume, die den Untergrund mit dem Stadtraum verbinden wurde klar: Die Schnitträume, diese Verbindungsräume mit ihren ganz eigenen spezifischen Geometrien, sind der Ort für die Kunst. Hier kann sich der Wirklichkeitssinn des Verkehrsbauwerks mit dem Möglichkeitssinn der Kunst treffen. Die Kunst ist der Blick über die Raumkante hinaus!

Wie kam es dann zur Auswahl der Künstler der einzelnen Stationen?

Schuh: Es gab ein zweites Wettbewerbsverfahren. Nachdem wir gewonnen hatten, hat die Stadt 16 Künstler eingeladen. Das Preisgericht ist unserem Konzept gefolgt und hat empfohlen, weitere Künstler mit einzubeziehen, und dieser Empfehlung ist die Stadt nachgekommen. Mit 16 Künstlern wurde dann ein Wettbewerb initiiert – aus dem ursprünglichen Pool. Die Künstler hatten vier Wochen Zeit, um eine Konzeption einzureichen. Wir haben empfohlen, den Künstlern die vollkommene Freiheit für die Entwicklung und Darstellung ihrer Idee zu lassen. Und wir haben dazu noch empfohlen, Kunst affine Architekten-Kollegen in die Jury zu berufen.

Arbeitsmodell Schnittraum und Kontinuum Heinrich-Heine-Allee, Photo netzwerkarchitekten und Heike Klussmann
Arbeitsmodell Schnittraum und Kontinuum Heinrich-Heine-Allee, Photo netzwerkarchitekten und Heike Klussmann



Wie liefen dann die Gespräche mit den Künstlern?

Schuh: Wir haben zunächst genau zugehört, welche Konzeptionen die Künstler hatten. Es gab dann in der späteren Entwurfsplanung auch noch Rotationen, was die Bahnhöfe anging. Es wurde dann aber bald klar, es gibt diesen Bahnhof für diesen Künstler.

Das bedeutet, auch die Künstler sind bereits seit 2002 alle an Bord?

Schuh: Genau. Aber es gibt natürlich unterschiedlich intensive Arbeitsphasen. Erst das Kennenlernen, dann gab es gleich eine intensive Arbeitsphase. Aber dann gab es auch Phasen, da haben uns die Künstler eingeladen in ihre Ateliers, wo wir sehen konnten, wie deren Arbeitsweisen sind. Das war der Moment, wo wir entschieden haben, das wir den Bauherren mitnehmen in die Ateliers, damit er auch ein Gefühl dafür bekommt. Und dann haben wir Atelier-Workshops vereinbart, um dort gemeinsam Zwischenergebnisse zu diskutieren. Das war die Vertiefung der Entwurfsphase.

Für diese sehr spezielle Kunst im öffentlichen Raum mussten die Künstler sich ja mit neuen, für sie ungewohnten Materialien auseinandersetzen? Die auch besonders strapazierfähig sind?

Schuh: Deswegen war schnell klar, dass es früh eine 1:1-Bemusterungsphase geben muss. Das kommt bei anderen Projekten sonst erst ganz spät im architektonischen Plan. Es ging darum, die Fragestellungen zu Material und Oberflächenqualität real zu überprüfen. So haben wir in einem stillgelegten Tunnel an der Heinrich-Heine-Allee 1:1 Mock-Ups für jede Station geplant und gebaut, um sie zu prüfen.

Klussmann: Das war ein längerer Ping-Pong-Prozess: Zum einen die Konzeptentwicklung und dann die geeigneten Umsetzung zu finden. Man fragt sich ja oft, wenn man anderswo aus der U-Bahn steigt: Warum sieht das alles so gleich aus? Und wenn man dann selbst in so einem Planungsprozess involviert ist, merkt man: Aha, es gibt eigentlich nur Glas, Stahl und Beton, die den Vorschriften im öffentlichen Raum entsprechen, Brandschutz usw... Wir hatten dann viele Konzepte. Erst wollten wir mit lichtreflektierenden Materialien im Untergrund arbeiten, dann haben wir gemerkt, dass die aber brennbar sind. Und dann haben wir nach anderen Materialien gesucht. Und gleichzeitig kam es zu einem Materialentwicklungs-Prozess. Hieraus ist BlingCrete – Licht reflektierender Beton entstanden. Das Projekt hatte also durchaus auch katalysatorische Wirkungen in andere Bereiche außerhalb des U-Bahn-Baus entwickelt! Und durch die künstlerische Konzeption war es auch möglich, die Grenzen des Materials zu erweitern und mit Firmen gemeinsam etwas Neues zu entwickeln, andere Produktionsprozesse.

Schuh: Weil eben die 1:1-Bemusterung gemeinsam mit den Firmen stattgefunden hat. Ein gutes Beispiel ist das Kontinuum: Das musste mit dem Material Beton zu tun haben und die Dynamik der Röhre übersetzen in den Bahnhofsbereich. Wir haben dafür alles Mögliche ausprobiert. Schließlich sind wir dazu gekommen, über großformatige Blöcke zu gattern und durch Fräsarbeiten, die immer mehr verfeinert wurden, die individuellen Geometrien herzustellen. Im Hintergrund stand immer die Forderung, dass der Rohbau überall zugänglich sein muss, revisionierbar. Will sagen, die Platten müssen abbaubar sein.

Schwieger: Da ging es auch darum, nicht von außen sichtbare Schrauben zu lösen, um die Platten wegzunehmen. Sondern dass das verborgene Mechanismen sind. Das hat mit der Fugengeometrie zu tun. Solche Fragen sind ganz wesentliche Themen in so einem Bauwerk.

Klussmann: Spannend ist auch, dass das Wissen, das in mittelständischen Unternehmen über Generationen entstanden ist, sich nun mit unserem digitalen Know-How zusammenschließen konnte. Und dass die bestehenden, alten Produktionsprozesse mit den digitalen zu verknüpfen zu ganz neuen Ergebnissen geführt hat. Altes Handwerk kombiniert mit neuen Produktionsverfahren, das ist auch rückblickend sehr spannend. Die Glasplatten bei Manuel Franke etwa: So etwas wird sonst im additiven Siebdruckverfahren hergestellt, er nimmt aber etwas weg, verwendet ein subtraktives Verfahren. So wird ein bestehendes Verfahren verändert. Oder die Referenz an die Intarsien bei den Böden in der Pempelforter Straße.

Schuh: Und wenn man so arbeitet, merkt man schon, dass man da ein bisschen Zeit braucht... fünfzehn Jahre.

Aber die Firmen mussten sich ja auch dazu aufgerufen fühlen, diesen Ehrgeiz zu entwickeln?

Schuh: Genau, zumal es im klassischen Hochbauverfahren ja gar keine Möglichkeit gibt, so im Dialog und in der Entwicklung zu arbeiten, denn da ist Zeit ja der wichtigste Faktor. Aber genau das ist es, was das Projekt auszeichnet: diese erweiterte Entwurfsphase über die Atelierworkshops. Das macht den Unterschied zum dem üblichen Verfahren, wo der Künstler erst sehr spät dazu kommt. Wir hatten halt das Glück, dass wir von Bauherren-Seite einen starken Rückhalt hatten. Denn die im Amt für Verkehrsmanagement verantwortliche Amtsleitung - Frau Blome ist von Haus aus Architektin - hatte immer das richtige Augenmaß und den Mut, bestimmte Dinge auch mal laufen zu lassen.

Also keine Bedenkenträgerei seitens der Bauherren?

Schuh: Da war immer ein Grundvertrauen da.

Ihr ward über lange Zeit ein Riesenteam. Ist so eine Konstellation nicht krisenanfällig? Wie blieb das stabil?

Schwieger: Das ist schon erstaunlicherweise die Idee, die es so lange getragen hat. Eine Idee, die wir vor 15 Jahren entwickelt haben. Und jetzt habe ich nicht das Gefühl, dass man der Idee ansieht, dass sie 15 Jahre alt ist. Die Idee hat bis in alle Ebenen hinein einfach funktioniert.

Schuh: Wir haben auch gelernt, zu diskutieren. Ich will gar nicht sagen, dass es keine Krisen gab, aber es war immer ein Grundkonsens da, so dass auch hart geführte Diskussionen immer wieder ins Positive geschwenkt sind.

Klussmann: Beim interdisziplinären Arbeiten geht es auch darum, die eigene Disziplin, die eigene Arbeit weiterzudenken, in einem anderen Kontext zu verorten. Die eigene Komfortzone zu verlassen, darauf muss man sich einlassen wollen, Die Leute, die an Bord waren, hatten alle diese Bereitschaft, diesen nicht immer einfachen Weg zu gehen. Auch bei Konflikten war immer das Gefühl da, dass alle an einem Strang ziehen. Mit der Zeit wächst natürlich auch das Vertrauen. Was ich besonders toll finde: Die Qualität in beiden Bereichen ist gestiegen. Die Kunst musste sich in engen Rahmenbedingungen zurecht finden, aber dadurch entsteht nochmal eine ganz eigene, andere Qualität.

Haben Künstler nicht Angst, sich in so einem Mega-Projekt zu verlieren, auch im direkten Vergleich mit den anderen Künstlern? Und wie sehr hat sich die Grundidee verändert?

Schuh: Wenn ich so durchgehe, sind wir konsequent geblieben, aber es hat sich an vielen Stellen weiterentwickelt. Gerade bei der Zusammenarbeit mit den Künstlern. Die Architekten führen ja hier nicht aus, was die Künstler denken. Alles ist gemeinsam entstanden. Zum Beispiel bei Enne Haehnle am Kirchplatz: Das ist eine Schriftskulptur vor einer Wand. Die Frage war: wie geht man mit dem Hintergrund um? Wenn man jetzt drinsteht, merkt man, dass die architektonische Konzeption der Sichtbeziehungen, der Blickbeziehungen zwischen den Ebenen, die bis an die Oberfläche reicht, um eben die Ängste zu nehmen, die sich möglicherweise bei so einem unterirdischen Bau einstellen, dass sich das synergetisch fügt, ohne zu „schreien“ und ohne sich auf der anderen Seite zu sehr zurückzunehmen.

Die Kunst ist präsent ohne einen anzuspringen.

Schwieger: Auf der Gesamtebene geht es mir so: Der Wettbewerb hat sich viel Raum genommen und wir haben sehr große Räume geschaffen. In der weiteren Planung wurde das Korsett dann enger. Aber das Konzept funktioniert trotzdem. Das finde ich erstaunlich.

Der Grundeindruck ist aber trotz Korsett einer der Weite und Großzügigkeit! Man kriegt Luft, es gibt keine klaustrophoben Räume. Aber wie ging es nun eigentlich los?

Schuh: Wir haben uns die vorhandenen Bahnhöfe angeschaut, sind die Strecke abgelaufen und haben uns mit der Schildvortriebstechnik beschäftigt, die ja automatisch bohrt. Und als wir das gesehen haben, da hat es „klack!“ gemacht. Da war klar, dass es um eine Aufweitung dieser Oberflächen gehen muss. Heike hat eine prägnante Skizze dazu gemacht. Und dann war die eigentliche Setzung getroffen. Es muss immer einmal „klack!“ machen. Und dann merkt man, es funktioniert. Es sind ja Dekaden, die zwischen den einzelnen Schritten liegen! Und es liegen ja auch Geschmäcker dazwischen! Es war uns bewusst, dass wir eine Konzeption brauchen, die an der Stelle belastbar ist und die sich entwickeln kann. Hoch spannend war z.B. die Diskussion um die Farbräume: Wenn man versucht, Farben festzulegen, wird es schwierig, auch und vor allem mit den Künstlern. Bei der Stadt kommt schnell die Frage auf: Wie wirkt diese Farbe in 20 Jahren? Und in der Architektur wie wirkt sie von einer Station zur nächsten Station? Wir haben die Farbräume deshalb eher konzeptuell begriffen, um die Grundidee des Kontinuums und der Schnitträume zu vermitteln. Es hat sich herauskristallisiert, dass das Grundkonzept belastbar ist. Formale Dinge haben wir zur Seite lassen können, weil die Kraft in der Ursprungskonzeption liegt.

Klussmann: Die Farbräume, die wir ursprünglich konzeptionell gedacht haben, haben sich dann aus den künstlerischen Prozessen heraus konkretisiert. Bei Ursula Damm war es z.B. so, dass sich das Blau, das in ihrer Projektion prägend ist, in den Raum erweitert hat. Oder im Bahnhof Pempelforter Straße stellte sich die Frage bei meinem Konzept: Kann ein schwarz-weiß-Raum direkt an einen schwarz-weiß-Raum grenzen? Funktioniert das?
Schuh: Schön, dass Du diese Frage jetzt stellst!?... Wir haben das auch mal in Farbe geprüft, und es hat uns allen auch gefallen. Aber auf einmal sind wir unsicher geworden. Das Geheimnisvolle, das jetzt den Raum als quasi umsponnene Skulptur auszeichnet, wäre dadurch verloren gegangen.

Wie viel hat denn nun eigentlich die Kunst gekostet im Gesamtpaket, wenn man das überhaupt trennen kann?

Schuh: Wir haben im gleichen Kostenrahmen gearbeitet, wie bei den anderen U-Bahnhöfen, z.B. der Moskauer Straße. Es gab nur einen geringen Aufschlag vom Kulturamt für die Kunst. Große Teile sind in die Baukosten für den hochwertigen Ausbau geflossen.

Wenn man an andere Großbaustellen denkt wie etwa die Elbphilharmonie in Hamburg oder das Opernhaus Köln, wo weder die Kosten noch die Zeiten eingehalten wurden, ist die Wehrhahnlinie ja eine rühmliche Ausnahme. Oder gab es Krisen?

Schuh: Es gab schon auch Krisen, das ist immer bei einem Großprojekt immer so. Wenn der Weltmarkt sich verändert, und die Stahlpreise steigen. Das spielt eine Rolle. Es gab Krisen bis zuletzt, wenn Firmen Konkurs gegangen sind. Aber dann ging es doch erstaunlich reibungslos, neue Firmen zu finden.

Stichwort: U-Bahn-Baustellen-Einsturz 2009 in Köln. War das ein Schock?

Schuh: Sicherlich. Zu dem Zeitpunkt war der Rohbau aber schon relativ weit. Aber dann wurde noch einmal genauer hingeguckt. Mit Argus-Augen. Da kam auch die Staatsanwaltschaft vorbei und hat die Baustelle besichtigt.

Ist die Wehrhahn-Linie jetzt im Moment das Innovativste, was es gibt in Sachen U-Bahn?

Schuh: Wir haben schon einen sehr hohen Standard hier umgesetzt. Bis hin zum Brandschutz. Da war nach dem Flughafen-Brand eine hohe Sensibilität in der Stadt. Wir haben uns natürlich umgeschaut, was es in Europa und in der Welt sonst noch gibt. Die Großzügigkeit hat auch den Hintergrund, dass es uns wirklich darum geht, den Leuten die Angst zu nehmen, so ein Bauwerk zu benutzen. Sichtbeziehungen zu schaffen, Raumbeziehungen, Lichtbeziehungen, so dass man nie das Gefühl von Enge hat. Das könnte schon einen Standard setzen.

Wie reagieren die Leute?

Schwieger: Ich habe versucht, bei den Besichtigungen Mäuschen zu spielen. Und ich habe immer rausgehört, dass die Größe beeindruckt, und die Übersichtlichkeit. Da habe ich gedacht: Ziel erreicht! Die Kunstwerke rufen natürlich kontroverse Reaktionen hervor. Aber das ist ja das Spannende daran, wie sie interpretiert werden. Vielleicht sogar benannt! Die Leute treten dem Projekt schon wohlwollend gegenüber, das ist eindeutig. Trotz der langen Bauzeit. Das hat sicher auch damit zu tun, dass das Projekt gut kommuniziert wurde und es keine Zeit- bzw. signifikanten Kostenüberschreitungen gab. Es gab keine Skandale, keine Unfälle.

Schuh: Spannend ist auch, was jetzt passiert. Durch neue Bahnhöfe wird eine Dynamik in Gang gesetzt. Geschäfte verlagern sich, ziehen um. U-Bahn-Bau wird in Sachen Mobilität in Metropolen immer eine Antwort bleiben. Wir werden unser Wissen auch weitergeben an andere Städte. Aber es hat sich gezeigt, dass es auch sehr viel bewirken kann, mit einer gewissen Unbedarftheit an so ein Projekt zu gehen. Das hat eben das Verfahren hier ausgezeichnet.

Woher kommt dieser ausgeprägte Wille der Stadt, die Kunst so in den Vordergrund zu bringen. Vor allem mit dieser Konsequenz?

Schuh: Es hat viel mit Düsseldorf und dem Stellenwert der Kunst in der Stadt zu tun. Und wir hatten einen starken Partner im Kulturamt. Es ist ja nicht einfach, solche Zwangsehen einzugehen. Da hatten wir hier immer eine wunderbare Eheberatung. Ulla Lux hat alle Phasen moderiert, und dann ins Rathaus mitgetragen. Es hat mich fasziniert, wie hoch der Stellenwert der Kunst hier in der Stadt gehalten wird.

Seid Ihr zufrieden mit dem Gesamtergebnis?

Klussmann: Es ist toll, alle Beteiligten sind sehr glücklich, sechs Künstler und sechs Architekten und die Stadt. Das ist außergewöhnlich. Die Chemie hat einfach gestimmt. Und es hat sich gelohnt, alle Diskussions-Schleifen zu drehen. Und auch die Stadt ist zufrieden.

Fragen: Regine Müller

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Wehrhahnlinie Duesseldorf, Interview, netzwerkarchitekten, Heike Klussmann, Kontinuum

Interview

15 Jahre Planen und Bauen der Wehrhahn-Linie –
ein Gespräch mit Heike Klussmann, Jochen Schuh und Markus Schwieger

Wie sind in dem Projekt eigentlich die Künstler mit den Architekten zusammen gekommen?

Schuh: Das war eine wunderbare Fügung. Das Kulturamt der Stadt Düsseldorf hat für den architektonischen Wettbewerb den beteiligten Architekten einen Katalog zur Verfügung gestellt, in dem vorab Künstler angefragt worden waren, die ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt hatten, in einem solchen Verfahren mitzuwirken. Das war für uns dankbar, weil wir eine große Auswahl hatten. Auf der anderen Seite war es nicht einfach, weil das ein reiner Bildkatalog war. Wir haben uns dann von der Momentstimmung tragen lassen und sind an ein paar Namen hängen geblieben. Und den Telefonhörer haben wir dann bei Heike Klussmann in die Hand genommen.

Das klingt nach einer Bauchentscheidung?

Schuh: Ein bisschen war das so. Aber natürlich spielte im Hintergrund mit, dass es um Architektur geht, um raumbildenden Ausbau und um Gestaltung von unterirdischen Bahnhöfen und wir dann gezielt geschaut haben, wie wir uns das mit einem Künstler prinzipiell zusammen vorstellen können. Und die Arbeiten von Heike Klussmann haben uns in ihrer konzeptionellen Stärke so sehr überzeugt, dass wir diesen Anruf gewagt haben.

Und woher kommt Ihre Nähe zur Architektur?

Klussmann: Ich habe an der Düsseldorfer Kunstakademie ganz klassisch Bildhauerei studiert. Danach bin ich nach Berlin und habe dort noch ein Multimedia-Studium angeschlossen. Ich habe in meiner Arbeit aber immer schon ganz stark räumlich gedacht und gearbeitet. Meine Arbeiten wurden schnell größer in Richtung Installation und dann bestand meinerseits ein großes Interesse für die Architektur. Es gab auch vorher bereits kleinere Kooperationen, aber das nun war eine wirklich spannende Anfrage und ein aufregendes Telefonat! Es war beidseitig so, dass ich dachte, in dieser Zusammenarbeit könnte sich etwas ganz besonders interessantes entwickeln. Wir sind dann gestartet, ohne den gesamten Ablauf absehen zu können.

Sie haben also bereits in der Ideenfindung für den Wettbewerb zusammen gearbeitet?

Klussmann: Um das zu erklären, müssen wir einen Schritt zurückgehen, denn genau das ist das Besondere. Die Stadt Düsseldorf hatte noch vor dem Wettbewerb die Entscheidung getroffen, Künstler und Architekten und Ingenieure vom allerersten Planungsschritt zusammen arbeiten zu lassen. Das war der Wille der Stadt und damit wurden die Rahmenbedingungen dafür gesetzt, dass die Arbeiten überhaupt so entstehen konnten. Das war die mutige Entscheidung für ein Experiment. Denn es war ja nicht abzusehen, wohin uns das führt. Mit allen Chancen, aber auch Risiken.

Das heißt, vor dem ersten Entwurf haben sie in dieser Kombination zusammen gearbeitet?

Arbeitsmodell Kontinuum, Photo Heike Klussmann und netzwerkarchitekten
Arbeitsmodell Kontinuum, Photo Heike Klussmann und netzwerkarchitekten


Schwieger: Wir haben den Wettbewerbsbeitrag in einem Team erarbeitet, zu dem neben Künstlerin und Architekten noch ein Tragwerksplaner und ein Lichtplaner gehörten. Das Konzept des Kontinuums und der Schnitträume ist in dieser Kooperation entstanden.

War dieses runde Paket dann entscheidend für den Gewinn des Wettbewerbs?

Schuh: Die Bedingungen waren in allen anderen Teams gleich. Gewinnen hat uns lassen,- so glaube ich - , dass wir eine Gesamtidee für alle Bahnhöfe entwickelt haben. Und eben nicht für jeden Bahnhof ein anderes Konzept. Sondern das Ganze in seinen Zusammenhang gestellt haben, weil wir dachten, das ist die beste Lösung für ein neues Verkehrssystem in dieser Stadt. Wir hatten auch den Riesenvorteil, dass wir eigentlich gar nichts zu verlieren hatten. Wir waren eines von zwei jungen Büros in einer Gruppe von zehn sehr renommierten Kollegen. Das hat uns aber glücklicherweise nicht weiter irritiert. Das Verfahren war ja offen, mit einer Zwischenpräsentation. D.h., wir wussten, mit wem wir es zu tun hatten und in dem Moment war uns klar, dass wir bestenfalls eine Außenseiterchance hatten. Und so konnten wir uns ganz auf unsere Arbeit konzentrieren. Und ganz befreit strategisch denken. Uns wurde dann klar, dass wir die Wehrhahnlinie nicht wie Perlen an einer Schnur entwickeln wollten, wo jeder Bahnhof von einem anderen Star-Architekten gebaut wird. Sondern wir haben uns darauf konzentriert, ein ganzheitliches Konzept für die ganze Linie zu entwickeln.

Dann habt Ihr gedacht: Wir haben keine Chance, aber die nutzen wir?

Schwieger: Wir haben schon an uns geglaubt. Aber wir haben gedacht, dass wir höchstens vielleicht einen Bahnhof realisieren.

Das heißt, die Aufgabe, ein Gesamtkonzept zu entwerfen, war so gar nicht gestellt? Aber ihr habt sie so begriffen?

Schwieger: Wir haben für den Wettbewerb drei Bahnhöfe entwickeln müssen mit ganz unterschiedlichen baulichen Gegebenheiten und Rand-Bedingungen. Man hätte meinen können, dass es schwierig ist, ein gemeinsames Konzept zu finden, das diese Bauverfahren auch fasst. Aber in unserer Idee war es eben doch möglich, das Konzept zu verankern.

Wie groß waren denn Eure Freiheiten in der Ausdehnung? Die Bahnhöfe wirken ja sehr großzügig. Wie war das möglich?

Schwieger: Dafür haben wir gekämpft, dass es großzügig bleibt!

Schuh: Es gab eine funktionale Planung der Ingenieure, und daraus ergibt sich eine Minimal-Kubatur. Das Ziel ist eigentlich, so wenig Platz wie möglich zu verschwenden und so effizient wie möglich zu bauen. Das war dann ein spannender Dialog, den wir nach dem Gewinn des Wettbewerbs mit den Ingenieuren geführt haben! Denn tatsächlich ist es so, dass man die Geometrien auch ganz anders begreifen kann. Man kann schräge Einschnitte und hohe Räume bauen und hat nicht automatisch dadurch höhere Kosten!

Schwieger: Es war ein beidseitiger Lernprozess. Denn wir wussten ja beileibe nicht alles über den Tunnelbau, im Gegenteil! Wir mussten viel lernen, was mögliche Schwierigkeiten angeht, und die Ingenieure wiederum mussten sich in unsere Konzept-Welt eindenken. Aber dadurch ist die Basis entstanden, auf der die Umsetzung erst möglich wurde.

Wie schnell habt ihr die Idee gefunden in der Abstimmung zwischen Kunst und Architektur? Und Wie kam es zum Konzept des Kontinuums?

Klussmann: Im Wettbewerb war einerseits gefordert ein Ingenieurbauwerk zu entwickeln, hier geht es ganz klar um Funktionalität. Und gleichzeitig war eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie und wo kann in diesem stark regulierten Rahmen Kunst stattfinden, dem Experiment Raum gegeben werden? Dieser Frage haben wir uns gemeinsam gestellt. Mit dem Entstehen des Konzeptes, der Idee des Kontinuums, das alle Stationen verbindet und der Schnitträume, die den Untergrund mit dem Stadtraum verbinden wurde klar: Die Schnitträume, diese Verbindungsräume mit ihren ganz eigenen spezifischen Geometrien, sind der Ort für die Kunst. Hier kann sich der Wirklichkeitssinn des Verkehrsbauwerks mit dem Möglichkeitssinn der Kunst treffen. Die Kunst ist der Blick über die Raumkante hinaus!

Wie kam es dann zur Auswahl der Künstler der einzelnen Stationen?

Schuh: Es gab ein zweites Wettbewerbsverfahren. Nachdem wir gewonnen hatten, hat die Stadt 16 Künstler eingeladen. Das Preisgericht ist unserem Konzept gefolgt und hat empfohlen, weitere Künstler mit einzubeziehen, und dieser Empfehlung ist die Stadt nachgekommen. Mit 16 Künstlern wurde dann ein Wettbewerb initiiert – aus dem ursprünglichen Pool. Die Künstler hatten vier Wochen Zeit, um eine Konzeption einzureichen. Wir haben empfohlen, den Künstlern die vollkommene Freiheit für die Entwicklung und Darstellung ihrer Idee zu lassen. Und wir haben dazu noch empfohlen, Kunst affine Architekten-Kollegen in die Jury zu berufen.

Arbeitsmodell Schnittraum und Kontinuum Heinrich-Heine-Allee, Photo netzwerkarchitekten und Heike Klussmann
Arbeitsmodell Schnittraum und Kontinuum Heinrich-Heine-Allee, Photo netzwerkarchitekten und Heike Klussmann



Wie liefen dann die Gespräche mit den Künstlern?

Schuh: Wir haben zunächst genau zugehört, welche Konzeptionen die Künstler hatten. Es gab dann in der späteren Entwurfsplanung auch noch Rotationen, was die Bahnhöfe anging. Es wurde dann aber bald klar, es gibt diesen Bahnhof für diesen Künstler.

Das bedeutet, auch die Künstler sind bereits seit 2002 alle an Bord?

Schuh: Genau. Aber es gibt natürlich unterschiedlich intensive Arbeitsphasen. Erst das Kennenlernen, dann gab es gleich eine intensive Arbeitsphase. Aber dann gab es auch Phasen, da haben uns die Künstler eingeladen in ihre Ateliers, wo wir sehen konnten, wie deren Arbeitsweisen sind. Das war der Moment, wo wir entschieden haben, das wir den Bauherren mitnehmen in die Ateliers, damit er auch ein Gefühl dafür bekommt. Und dann haben wir Atelier-Workshops vereinbart, um dort gemeinsam Zwischenergebnisse zu diskutieren. Das war die Vertiefung der Entwurfsphase.

Für diese sehr spezielle Kunst im öffentlichen Raum mussten die Künstler sich ja mit neuen, für sie ungewohnten Materialien auseinandersetzen? Die auch besonders strapazierfähig sind?

Schuh: Deswegen war schnell klar, dass es früh eine 1:1-Bemusterungsphase geben muss. Das kommt bei anderen Projekten sonst erst ganz spät im architektonischen Plan. Es ging darum, die Fragestellungen zu Material und Oberflächenqualität real zu überprüfen. So haben wir in einem stillgelegten Tunnel an der Heinrich-Heine-Allee 1:1 Mock-Ups für jede Station geplant und gebaut, um sie zu prüfen.

Klussmann: Das war ein längerer Ping-Pong-Prozess: Zum einen die Konzeptentwicklung und dann die geeigneten Umsetzung zu finden. Man fragt sich ja oft, wenn man anderswo aus der U-Bahn steigt: Warum sieht das alles so gleich aus? Und wenn man dann selbst in so einem Planungsprozess involviert ist, merkt man: Aha, es gibt eigentlich nur Glas, Stahl und Beton, die den Vorschriften im öffentlichen Raum entsprechen, Brandschutz usw... Wir hatten dann viele Konzepte. Erst wollten wir mit lichtreflektierenden Materialien im Untergrund arbeiten, dann haben wir gemerkt, dass die aber brennbar sind. Und dann haben wir nach anderen Materialien gesucht. Und gleichzeitig kam es zu einem Materialentwicklungs-Prozess. Hieraus ist BlingCrete – Licht reflektierender Beton entstanden. Das Projekt hatte also durchaus auch katalysatorische Wirkungen in andere Bereiche außerhalb des U-Bahn-Baus entwickelt! Und durch die künstlerische Konzeption war es auch möglich, die Grenzen des Materials zu erweitern und mit Firmen gemeinsam etwas Neues zu entwickeln, andere Produktionsprozesse.

Schuh: Weil eben die 1:1-Bemusterung gemeinsam mit den Firmen stattgefunden hat. Ein gutes Beispiel ist das Kontinuum: Das musste mit dem Material Beton zu tun haben und die Dynamik der Röhre übersetzen in den Bahnhofsbereich. Wir haben dafür alles Mögliche ausprobiert. Schließlich sind wir dazu gekommen, über großformatige Blöcke zu gattern und durch Fräsarbeiten, die immer mehr verfeinert wurden, die individuellen Geometrien herzustellen. Im Hintergrund stand immer die Forderung, dass der Rohbau überall zugänglich sein muss, revisionierbar. Will sagen, die Platten müssen abbaubar sein.

Schwieger: Da ging es auch darum, nicht von außen sichtbare Schrauben zu lösen, um die Platten wegzunehmen. Sondern dass das verborgene Mechanismen sind. Das hat mit der Fugengeometrie zu tun. Solche Fragen sind ganz wesentliche Themen in so einem Bauwerk.

Klussmann: Spannend ist auch, dass das Wissen, das in mittelständischen Unternehmen über Generationen entstanden ist, sich nun mit unserem digitalen Know-How zusammenschließen konnte. Und dass die bestehenden, alten Produktionsprozesse mit den digitalen zu verknüpfen zu ganz neuen Ergebnissen geführt hat. Altes Handwerk kombiniert mit neuen Produktionsverfahren, das ist auch rückblickend sehr spannend. Die Glasplatten bei Manuel Franke etwa: So etwas wird sonst im additiven Siebdruckverfahren hergestellt, er nimmt aber etwas weg, verwendet ein subtraktives Verfahren. So wird ein bestehendes Verfahren verändert. Oder die Referenz an die Intarsien bei den Böden in der Pempelforter Straße.

Schuh: Und wenn man so arbeitet, merkt man schon, dass man da ein bisschen Zeit braucht... fünfzehn Jahre.

Aber die Firmen mussten sich ja auch dazu aufgerufen fühlen, diesen Ehrgeiz zu entwickeln?

Schuh: Genau, zumal es im klassischen Hochbauverfahren ja gar keine Möglichkeit gibt, so im Dialog und in der Entwicklung zu arbeiten, denn da ist Zeit ja der wichtigste Faktor. Aber genau das ist es, was das Projekt auszeichnet: diese erweiterte Entwurfsphase über die Atelierworkshops. Das macht den Unterschied zum dem üblichen Verfahren, wo der Künstler erst sehr spät dazu kommt. Wir hatten halt das Glück, dass wir von Bauherren-Seite einen starken Rückhalt hatten. Denn die im Amt für Verkehrsmanagement verantwortliche Amtsleitung - Frau Blome ist von Haus aus Architektin - hatte immer das richtige Augenmaß und den Mut, bestimmte Dinge auch mal laufen zu lassen.

Also keine Bedenkenträgerei seitens der Bauherren?

Schuh: Da war immer ein Grundvertrauen da.

Ihr ward über lange Zeit ein Riesenteam. Ist so eine Konstellation nicht krisenanfällig? Wie blieb das stabil?

Schwieger: Das ist schon erstaunlicherweise die Idee, die es so lange getragen hat. Eine Idee, die wir vor 15 Jahren entwickelt haben. Und jetzt habe ich nicht das Gefühl, dass man der Idee ansieht, dass sie 15 Jahre alt ist. Die Idee hat bis in alle Ebenen hinein einfach funktioniert.

Schuh: Wir haben auch gelernt, zu diskutieren. Ich will gar nicht sagen, dass es keine Krisen gab, aber es war immer ein Grundkonsens da, so dass auch hart geführte Diskussionen immer wieder ins Positive geschwenkt sind.

Klussmann: Beim interdisziplinären Arbeiten geht es auch darum, die eigene Disziplin, die eigene Arbeit weiterzudenken, in einem anderen Kontext zu verorten. Die eigene Komfortzone zu verlassen, darauf muss man sich einlassen wollen, Die Leute, die an Bord waren, hatten alle diese Bereitschaft, diesen nicht immer einfachen Weg zu gehen. Auch bei Konflikten war immer das Gefühl da, dass alle an einem Strang ziehen. Mit der Zeit wächst natürlich auch das Vertrauen. Was ich besonders toll finde: Die Qualität in beiden Bereichen ist gestiegen. Die Kunst musste sich in engen Rahmenbedingungen zurecht finden, aber dadurch entsteht nochmal eine ganz eigene, andere Qualität.

Haben Künstler nicht Angst, sich in so einem Mega-Projekt zu verlieren, auch im direkten Vergleich mit den anderen Künstlern? Und wie sehr hat sich die Grundidee verändert?

Schuh: Wenn ich so durchgehe, sind wir konsequent geblieben, aber es hat sich an vielen Stellen weiterentwickelt. Gerade bei der Zusammenarbeit mit den Künstlern. Die Architekten führen ja hier nicht aus, was die Künstler denken. Alles ist gemeinsam entstanden. Zum Beispiel bei Enne Haehnle am Kirchplatz: Das ist eine Schriftskulptur vor einer Wand. Die Frage war: wie geht man mit dem Hintergrund um? Wenn man jetzt drinsteht, merkt man, dass die architektonische Konzeption der Sichtbeziehungen, der Blickbeziehungen zwischen den Ebenen, die bis an die Oberfläche reicht, um eben die Ängste zu nehmen, die sich möglicherweise bei so einem unterirdischen Bau einstellen, dass sich das synergetisch fügt, ohne zu „schreien“ und ohne sich auf der anderen Seite zu sehr zurückzunehmen.

Die Kunst ist präsent ohne einen anzuspringen.

Schwieger: Auf der Gesamtebene geht es mir so: Der Wettbewerb hat sich viel Raum genommen und wir haben sehr große Räume geschaffen. In der weiteren Planung wurde das Korsett dann enger. Aber das Konzept funktioniert trotzdem. Das finde ich erstaunlich.

Der Grundeindruck ist aber trotz Korsett einer der Weite und Großzügigkeit! Man kriegt Luft, es gibt keine klaustrophoben Räume. Aber wie ging es nun eigentlich los?

Schuh: Wir haben uns die vorhandenen Bahnhöfe angeschaut, sind die Strecke abgelaufen und haben uns mit der Schildvortriebstechnik beschäftigt, die ja automatisch bohrt. Und als wir das gesehen haben, da hat es „klack!“ gemacht. Da war klar, dass es um eine Aufweitung dieser Oberflächen gehen muss. Heike hat eine prägnante Skizze dazu gemacht. Und dann war die eigentliche Setzung getroffen. Es muss immer einmal „klack!“ machen. Und dann merkt man, es funktioniert. Es sind ja Dekaden, die zwischen den einzelnen Schritten liegen! Und es liegen ja auch Geschmäcker dazwischen! Es war uns bewusst, dass wir eine Konzeption brauchen, die an der Stelle belastbar ist und die sich entwickeln kann. Hoch spannend war z.B. die Diskussion um die Farbräume: Wenn man versucht, Farben festzulegen, wird es schwierig, auch und vor allem mit den Künstlern. Bei der Stadt kommt schnell die Frage auf: Wie wirkt diese Farbe in 20 Jahren? Und in der Architektur wie wirkt sie von einer Station zur nächsten Station? Wir haben die Farbräume deshalb eher konzeptuell begriffen, um die Grundidee des Kontinuums und der Schnitträume zu vermitteln. Es hat sich herauskristallisiert, dass das Grundkonzept belastbar ist. Formale Dinge haben wir zur Seite lassen können, weil die Kraft in der Ursprungskonzeption liegt.

Klussmann: Die Farbräume, die wir ursprünglich konzeptionell gedacht haben, haben sich dann aus den künstlerischen Prozessen heraus konkretisiert. Bei Ursula Damm war es z.B. so, dass sich das Blau, das in ihrer Projektion prägend ist, in den Raum erweitert hat. Oder im Bahnhof Pempelforter Straße stellte sich die Frage bei meinem Konzept: Kann ein schwarz-weiß-Raum direkt an einen schwarz-weiß-Raum grenzen? Funktioniert das?
Schuh: Schön, dass Du diese Frage jetzt stellst!?... Wir haben das auch mal in Farbe geprüft, und es hat uns allen auch gefallen. Aber auf einmal sind wir unsicher geworden. Das Geheimnisvolle, das jetzt den Raum als quasi umsponnene Skulptur auszeichnet, wäre dadurch verloren gegangen.

Wie viel hat denn nun eigentlich die Kunst gekostet im Gesamtpaket, wenn man das überhaupt trennen kann?

Schuh: Wir haben im gleichen Kostenrahmen gearbeitet, wie bei den anderen U-Bahnhöfen, z.B. der Moskauer Straße. Es gab nur einen geringen Aufschlag vom Kulturamt für die Kunst. Große Teile sind in die Baukosten für den hochwertigen Ausbau geflossen.

Wenn man an andere Großbaustellen denkt wie etwa die Elbphilharmonie in Hamburg oder das Opernhaus Köln, wo weder die Kosten noch die Zeiten eingehalten wurden, ist die Wehrhahnlinie ja eine rühmliche Ausnahme. Oder gab es Krisen?

Schuh: Es gab schon auch Krisen, das ist immer bei einem Großprojekt immer so. Wenn der Weltmarkt sich verändert, und die Stahlpreise steigen. Das spielt eine Rolle. Es gab Krisen bis zuletzt, wenn Firmen Konkurs gegangen sind. Aber dann ging es doch erstaunlich reibungslos, neue Firmen zu finden.

Stichwort: U-Bahn-Baustellen-Einsturz 2009 in Köln. War das ein Schock?

Schuh: Sicherlich. Zu dem Zeitpunkt war der Rohbau aber schon relativ weit. Aber dann wurde noch einmal genauer hingeguckt. Mit Argus-Augen. Da kam auch die Staatsanwaltschaft vorbei und hat die Baustelle besichtigt.

Ist die Wehrhahn-Linie jetzt im Moment das Innovativste, was es gibt in Sachen U-Bahn?

Schuh: Wir haben schon einen sehr hohen Standard hier umgesetzt. Bis hin zum Brandschutz. Da war nach dem Flughafen-Brand eine hohe Sensibilität in der Stadt. Wir haben uns natürlich umgeschaut, was es in Europa und in der Welt sonst noch gibt. Die Großzügigkeit hat auch den Hintergrund, dass es uns wirklich darum geht, den Leuten die Angst zu nehmen, so ein Bauwerk zu benutzen. Sichtbeziehungen zu schaffen, Raumbeziehungen, Lichtbeziehungen, so dass man nie das Gefühl von Enge hat. Das könnte schon einen Standard setzen.

Wie reagieren die Leute?

Schwieger: Ich habe versucht, bei den Besichtigungen Mäuschen zu spielen. Und ich habe immer rausgehört, dass die Größe beeindruckt, und die Übersichtlichkeit. Da habe ich gedacht: Ziel erreicht! Die Kunstwerke rufen natürlich kontroverse Reaktionen hervor. Aber das ist ja das Spannende daran, wie sie interpretiert werden. Vielleicht sogar benannt! Die Leute treten dem Projekt schon wohlwollend gegenüber, das ist eindeutig. Trotz der langen Bauzeit. Das hat sicher auch damit zu tun, dass das Projekt gut kommuniziert wurde und es keine Zeit- bzw. signifikanten Kostenüberschreitungen gab. Es gab keine Skandale, keine Unfälle.

Schuh: Spannend ist auch, was jetzt passiert. Durch neue Bahnhöfe wird eine Dynamik in Gang gesetzt. Geschäfte verlagern sich, ziehen um. U-Bahn-Bau wird in Sachen Mobilität in Metropolen immer eine Antwort bleiben. Wir werden unser Wissen auch weitergeben an andere Städte. Aber es hat sich gezeigt, dass es auch sehr viel bewirken kann, mit einer gewissen Unbedarftheit an so ein Projekt zu gehen. Das hat eben das Verfahren hier ausgezeichnet.

Woher kommt dieser ausgeprägte Wille der Stadt, die Kunst so in den Vordergrund zu bringen. Vor allem mit dieser Konsequenz?

Schuh: Es hat viel mit Düsseldorf und dem Stellenwert der Kunst in der Stadt zu tun. Und wir hatten einen starken Partner im Kulturamt. Es ist ja nicht einfach, solche Zwangsehen einzugehen. Da hatten wir hier immer eine wunderbare Eheberatung. Ulla Lux hat alle Phasen moderiert, und dann ins Rathaus mitgetragen. Es hat mich fasziniert, wie hoch der Stellenwert der Kunst hier in der Stadt gehalten wird.

Seid Ihr zufrieden mit dem Gesamtergebnis?

Klussmann: Es ist toll, alle Beteiligten sind sehr glücklich, sechs Künstler und sechs Architekten und die Stadt. Das ist außergewöhnlich. Die Chemie hat einfach gestimmt. Und es hat sich gelohnt, alle Diskussions-Schleifen zu drehen. Und auch die Stadt ist zufrieden.

Fragen: Regine Müller

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Wehrhahnlinie Duesseldorf, Interview, netzwerkarchitekten, Heike Klussmann, Kontinuum