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Das Projekt Wehrhahn-Linie

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netzwerkarchitekten



Selten wurde der Abschluss eines großen und anspruchsvollen innerstädtischen Bauprojektes mit einer solch ungeteilten Begeisterung begrüßt, wie die Eröffnung der Wehrhahn-Linie am 20. Februar 2016. Eine neue 3,4 Kilometer lange Tunnelstrecke mit sechs Bahnhöfen unterhalb der Düsseldorfer Innenstadt ist an diesem Tag für den Öffentlichen Nahverkehr zwischen den Stationen Bilk und Wehrhahn freigegeben worden. Tausende Düsseldorfer kamen und flanierten durch die neuen unterirdischen Räume und Verbindungen wie bei einer Vernissage mit U-Bahn-Anschluss. Die nationale und internationale Fachpresse war beeindruckt: „Düsseldorf gelingt ein einmaliges Raumexperiment: Kunst und Architektur als Taktgeber urbaner und suburbaner Mobilität.“ (Süddeutsche Zeitung); „Was die Ausgestaltung der Wehrhahn-Linie neu, wagemutig und womöglich wegweisend macht, ist ein ganzheitlicher Ansatz. Die Kunst wurde hier nicht nachgerüstet oder appliziert, sondern vom ersten Planungsschritt an einbezogen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung); 'The new metro represents a rare moment when people who never usually interact – city bureaucrats, engineers, architects and artists – create something bigger than themselves' (The Guardian); 'Art and magic in a German metro' (The New York Times).
Diese Gemeinschaftsleistung von Architekten, Ingenieuren, Künstlern und der städtischen Verwaltung ist das Ergebnis einer insgesamt fünfzehnjährigen Planungs- und Bauzeit in Düsseldorf. Ausgangspunkt war ein im Jahr 2001 ausgeschriebener zweistufiger EU-weiter Wettbewerb für ein Gesamtkonzept, den die netzwerkarchitekten aus Darmstadt in Zusammenarbeit mit der in Berlin lebenden Künstlerin Heike Klussmann gewonnen haben. Fachlich beraten wurde das Team im Wettbewerb von Dr. Alexander Hentschel (Tragwerksplanung) und Andrew Holmes (Lichtplanung). Entscheidend für das Votum der Jury war seinerzeit, dass der Wettbewerbsbeitrag zugleich die Einheitlichkeit der Linie wie auch die Unterschiedlichkeit der einzelnen Stationen ins Auge fasste bzw. genau diese Ambivalenz in der Aufgabenstellung der Gestaltung einer U-Bahn-Linie konzeptionell kraftvoll und nachvollziehbar beantwortete.
Zwei konzeptuelle Begriffe sind hierbei zentral: Kontinuum und Schnitträume. Das Kontinuum umfasst das gesamte Tunnelbauwerk mitsamt der Stationsräume entlang der Gleisstrecke, die zunächst als ‚Aufweitungen‘ des Tunnelbauwerks verstanden werden. Die in allen Stationen einheitliche Auskleidung mit einem Relief aus Betonfertigteilen übersetzt den Raumbegriff des Kontinuums in ein wiedererkennbares, verbindendes Strukturbild.

Die Schnitträume dagegen verbinden den jeweiligen Stationsraum mit dem Stadtraum an der Oberfläche. Es sind dies die Zugangsräume, die Treppen, Fahrtreppen, Aufzüge und Verteilerebenen aufnehmen. Schon im Wettbewerbsbeitrag wurde hier das Ziel verfolgt, Perspektiven zu öffnen, unmittelbare Bezüge zwischen Stationsraum und Stadtraum zu erzeugen, wo immer möglich Tageslicht bis in den Stationsraum zu bringen und mithin wesentliche Voraussetzungen für Übersicht, Orientierung und Sicherheitsempfinden zu schaffen bzw. dem Empfinden räumlicher Enge entgegenzuwirken. In Abhängigkeit von den baulichen Dispositionen des oberirdischen Stadtraums einerseits und des unterirdischen Stationsraums andererseits, sind diese verbindenden und erschließenden Schnitträume schon in geometrischer Sicht höchst unterschiedlich. Gerade auch deshalb wurden diese Schnitträume als Orte der stationsspezifischen künstlerischen Intervention bestimmt.
Im Preisgerichtsprotokoll heißt es hierzu: 'Seit der Erfindung der U-Bahn sind zu diesem Thema keine neuen architektonischen sowie künstlerischen Lösungen entwickelt worden, außer Ausstattungsversuchen, die jeweils dem Zeitgeist entsprachen. Die netzwerkarchitekten mit der Künstlerin Heike Klussmann und Uwe Belzner haben mit großer Sicherheit die Lösung für das Problem der Gestaltung von U-Bahnhöfen neu erfunden. […] Dieses Projekt ist eine durchgehende hervorragende Arbeit, die über die Fragen von Ausstattung und Design hinausgeht, sich dem Zeitgeist entzieht und somit über lange Zeit seine Gültigkeit hat.'

Das Preisgericht empfahl einstimmig 'das Gestaltungsprinzip einer charakteristischen Identifikationsgebung und einer besonders geglückten Interpretation technischer Vorgaben, räumlich-architektonischen und künstlerischen Ausformulierungen für die Gesamtstrecke der Wehrhahn-Linie zu Grunde zu legen. Dabei sollte sich die Differenzierung der einzelnen Haltepunkte aus dem jeweiligen städtischen oberirdischen Ort und den technischen Vorgaben weiterentwickeln. Zudem sollten von dem Planungsteam in Abstimmung mit der Landeshauptstadt Düsseldorf weitere Künstlerinnen und Künstler integriert werden, die diese Differenzierung stützen.'

Ausgangs des Wettbewerbsverfahrens waren somit die Weichen gestellt, die Wehrhahnlinie fortan nicht als Addition einzelner, von verschiedenen Teams aus Architekten und Künstlern gestalteter Stationen zu entwickeln, sondern stattdessen weitere Künstler bei der Gestaltung der Stationen im Rahmen der einheitlichen, linienübergreifenden Konzeption des Siegerentwurfs einzubinden: Für einen anschließenden Kunstwettbewerb lieferten Vertreter der Düsseldorfer Kulturinstitute wie Kunsthalle, Kunstverein, Museum Kunstpalast sowie das Kulturamt eine Künstlerliste. Die Jury, der neben Vertretern des Kulturamtes und des Amtes für Verkehrsmanagement auch Vertreter der Kulturinstitute und Architekten, unter anderem des Büros netzwerkarchitekten angehörten, lud zunächst 16 Teilnehmer zu einem eingeladenen Verfahren ein: In diesem ging es zunächst darum, in einem ersten Bearbeitungsschritt eine Grundkonzeption zu formulieren, die dann in einem zweiten Bearbeitungsschritt mit Bezug auf bestimmte Schnitträume und in Abstimmung mit den Architekten situationsbezogen vertieft wurde. Ziel war, neben Heike Klussmann fünf weitere Künstler auszuwählen, die fortan in integrativer Zusammenarbeit mit den Architekten jeweils spezifische Gestaltungen der Schnitträume entwickeln sollten. Die Jury entschied sich für Enne Haehnle (Kirchplatz), Manuel Franke (Graf-Adolf-Platz), Thomas Stricker (Benrather Straße), Ralf Brög (Heinrich-Heine-Allee) und Ursula Damm (Schadowstraße). Der Schnittraum Station Pempelforter Straße wurde von Heike Klussmann bearbeitet, die dort eine schon im Architekturwettbewerb vorgestellte Raumkonzeption weiterentwickelte.

Auch die künstlerische Weiterentwicklung der schon im Architekturwettbewerb vorgestellten Konzeption des Kontinuums oblag Heike Klussmann. In dieser Aufgabenstellung wie auch in ihrem Bearbeitungsweg bis hin zur realisierten Lösung manifestiert sich beispielhaft der grundlegende und einzigartige Gedanke des Projektes der Wehrhahnlinie – nämlich Stadtraum, Ingenieurbauwerk, Architektur und Kunst integrativ und dialogisch zu entwickeln: Bereits die Idee einer Wandbekleidung aus Betonfertigteilen entspringt der thematischen Übersetzung der aus Stahlbetonfertigteilen (Tübbingen) bestehenden Tunnelröhre. Die Struktur der Bekleidung aus teilweise gestreckten und gestauchten Rauten erinnert an eine Schlangenhaut und greift somit den langen, gewundenen Tunnelraum assoziativ auf. Zugleich entspricht die mit der Zeichnung in eins gehende Elementierung der Bekleidung in handhabbare Bauteilformate dem Anspruch der Revisionierbarkeit der bekleideten Fläche, die eine Kernanforderung im U-Bahn-Bau darstellt. Technische Anforderungen wie die Resistenz gegen Brand und Vandalismus galt es, sicherzustellen. Die Fügung der einzelnen Elemente untereinander oder zu angrenzenden Flächen musste ebenso geklärt werden, wie die wirtschaftliche Herstellbarkeit der Vielzahl unterschiedlicher Formate. Kunst ist hier nicht auf dem Bauwerk applizierte Schicht, sondern ist selbst integrativer Teil des Bauwerkes, das heißt auch Bauteil im Rahmen der ausgeschriebenen Bauleistungen des architektonischen Ausbaus. Entsprechend stetig und intensiv war die Kooperation zwischen Ingenieuren, Architekten und Künstlerin im Prozess der Planung und Realisierung der Konzeption.

Dies gilt dem Wesen nach für alle künstlerischen Interventionen in den Schnitträumen auch: Sie greifen und wirken in die gebauten Räume hinein und instrumentalisieren architektonischen Raum und konstruktive Bauteile unmittelbar für die Umsetzung der künstlerischen Konzeption. Somit nehmen die Interventionen den Schnittraum jeweils gänzlich in Anspruch – sie sind nicht darin eingerichtet, sondern prägen ihn ganzheitlich. Sie verschmelzen insoweit mit dem architektonischen Raum. Es entstehen im Übergang von oberirdischem Stadtraum zum unterirdischen Stationsraum jeweils wiedererkennbare Transiträume sehr unterschiedlicher und eigenständiger Identität – aufgrund der unterschiedlichen Kontexte, der unterschiedlichen Raumgeometrien, vor allem aber aufgrund der unterschiedlichen künstlerischen Konzeptionen:
Ralf Brög hat an der Station Heinrich-Heine-Allee drei Aufführungsorte für wechselnde Klang- und Soundbeiträge gestaltet – als Theater, als Labor und als Auditorium. Ursula Damm entwickelte für die Station Schadowstraße eine mehrteilige interaktive Installation. Manuel Franke hat an der Station Graf-Adolf-Platz durch Hunderte von leuchtend grünen Glastafeln einen begehbaren Farbraum geschaffen, der aufgebrochen wird durch einen mitreißenden Linienstrom. Enne Haehnle schrieb für ihre Station Kirchplatz poetische Texte, die sie skulptural umgesetzt hat. Heike Klussmann lässt ausgehend von den Zugängen weiße Bänder über die Wände, die Decken und den Boden der Station laufen und an der Geometrie der Architektur brechen und abwickeln. Thomas Stricker holt an der Station Benrather Straße durch die konzeptionelle Umkehrung des die Architektur umgebenden Raumes das Universum mit seinen Planeten und Sternen, seiner Ruhe und Schwerelosigkeit in die Unterwelt des U-Bahnhofs.
Alle Arbeiten eint das Bewusstsein, auf mobile Menschen in ihren alltäglichen Wegen gerichtet zu sein, nicht auf Kunstsuchende in Ausstellungsräumen. Dennoch bewirkt das Erleben umfassend und ganzheitlich gestalteter Räume das Empfinden von Entschleunigung und Ruhe. Auch die Abwesenheit von Werbung trägt hierzu bei – in den neuen U-Bahnhöfen gibt es keine Plakate, keine Reklamefenster, keine Kommerzflächen. Architektur und Kunst können sich untrennbar miteinander verbinden, aufeinander eingehen, sich befruchten, sich gegenseitig heben und den Raumeindruck gemeinschaftlich prägen.